SRL-Regionalgruppe Bremen/Niedersachsen; Ausschuss Planungsrecht, 26.04.2022

Niedersächsischer Landtag 18. Wahlperiode
Stellungnahme der SRL e.V. zur Drucksache 18/10950
Antrag der SPD und CDU v. 15.03.2022 - Flächenverbrauch reduzieren, Nachverdichtung stärken

Grundsätzlich begrüßt die SRL das Ziel, den Flächenverbrauch zu reduzieren, Industriebrachen, Brachen und Schrottimmobilien zu reaktivieren und die Nachverdichtung zu stärken. Die Bestandsanalyse im Antrag stellt die aktuelle Situation zutreffend dar. Die Schlussfolgerungen daraus sind allerdings wenig geeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen.

Die Antragsteller sehen im Planungsrecht ein Hindernis bei der Schaffung von ausreichend erschwinglichem Wohnraum im Innenbereich der Städte und Gemeinden. Tatsächlich ist aber die Bodenordnung und die starke Stellung des Privateigentums an Grund und Boden dafür verantwortlich. Dass viele Grundstücke und Immobilien nicht zur Verfügung stehen, liegt in den meisten Fällen am spekulativen Umgang mit diesen Gütern. Oft ist das Bauen auf der grünen Wiese die einzige Möglichkeit für die Kommune, Bauland auszuweisen, weil sie in den Innenlagen keinen Zugriff auf Grundstücke und Immobilien hat. Andererseits bietet das Baugesetzbuch bereits seit Langem Instrumente, die die Stadt bzw. Gemeinde als verantwortliche Institution für die städtebauliche Ordnung zur Verfügung hat. Diese sind aber zu wenig bekannt, politisch nicht gewollt oder mit so hohen Hürden versehen, dass sie kaum Anwendung finden. Beispielsweise sind hier zu nennen:

Der Erlass eines Baugebotes gem. § 176 BauGB setzt die Erörterung mit den Betroffenen und eine Beratung zu den Fördermöglichkeiten der Maßnahmenumsetzung voraus. Hier fehlt es, gerade in kleineren Kommunen, an Fachkenntnis und politischem Durchsetzungswillen.

Das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot gem. § 177 BauGB zielt auf baufällige Gebäude ab, zu deren Instandsetzung die Kommune den Eigentümer auf seine Kosten verpflichten kann. Wenn der Eigentümer aber nachweist, dass er wirtschaftlich nicht dazu in der Lage ist, muss die Kommune die Kosten tragen. Hierfür fehlt den meisten Kommunen das Budget.

Die allgemeinen und besonderen Vorkaufsrechte gem. §§ 24 und 25 BauGB sind an bestimmte Gebietstypen (Bebauungsplan, Sanierungsgebiet usw.) gebunden und müssen mit dem Wohl der Allgemeinheit begründet werden. Ausüben kann die Gemeinde die Rechte nur, wenn die Grundstücke zum Verkauf angeboten werden und sie zur Finanzierung in der Lage ist. Eine Möglichkeit, den Verkaufspreis zu deckeln, hat sie nicht.

Die Umlegung nach den §§ 45 bis 79 BauGB ist ein aufwändiges und langwieriges Verfahren. Sie kann von der Gemeinde angeordnet werden, wenn die Umsetzung eines Bebauungsplans oder die geordnete städtebauliche Entwicklung dies erfordert. Die Erforderlichkeit muss begründet und nachgewiesen werden. Durch die Umlegung benachteiligte Eigentümer müssen durch die Gemeinde entschädigt werden.

Die Enteignung nach den §§ 85 bis 92 BauGB als radikalstes Instrument der Boden- und Nutzungsneuordnung ist an strenge Voraussetzungen gebunden. § 88 BauGB ermöglicht die Enteignung aus zwingenden städtebaulichen Gründen. Der Enteignete ist durch die Gemeinde angemessen zu entschädigen.

Daneben gibt das Besondere Städtebaurecht im zweiten Teil des BauGB den Gemeinden zahlreiche Möglichkeiten an die Hand, über städtebauliche Satzungen bestimmte städtebauliche Ziele umzusetzen. Diese sind aber immer mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden, so dass sie fast immer von der Teilnahme an einem Förderprogramm abhängen. Hinzu kommt, dass ihre Durchführung hohe fachliche Kompetenz verlangt.

Daraus wird deutlich, dass es für das Erreichen der o.g. Ziele vielmehr darauf ankommt, die Kommunen zu unterstützen, die Instrumente auch anwenden zu können. Durch die vorgeschlagenen Änderungen des BauGB werden sich die Problemstellungen kurzfristig nicht lösen lassen.

Zu den einzelnen Punkten des Antrages nehmen wir wie folgt Stellung:

1. Die Prüfung zur Förderung wird grundsätzlich befürwortet. Sie darf aber nicht dazu führen, dass die Alteigentümer komplett aus der Verantwortung für ihr Grundstück befreit werden und der Steuerzahler für die Kosten aufkommen muss. Wenn eine Förderung durch den Staat, das Land oder die Kommune erfolgt, kann es sinnvoller sein, das Grundstück zunächst in öffentliches Eigentum zu überführen. Über die Verwertung des Grundstückes könnten Teile der Förderung wieder rückerstattet werden. Auf diesem Wege ist außerdem eine bessere, gemeinwohlorientierte Steuerung der städtebaulich gewünschten Ziele möglich. Die Förderung sollte deshalb z.B. an ein städtebauliches Konzept und an die Aufstellung eines verbindlichen Bebauungsplanes geknüpft sein. Da die Bewerbung um die Zuteilung von Fördermitteln sowie der Rückbau der Fläche erfahrungsgemäß lange dauern kann, so dass auch bei Förderung weiterhin Wettbewerbsnachteile gegenüber Flächen „auf der grünen Wiese“ bestehen können, bilden zügige Bewilligungsverfahren die Voraussetzung, diesen Nachteil aufzuheben. Für diese Abläufe sind kompetente Fachplaner*innen aus der Stadtplanung, der Architektur und Landschaftsplanung erforderlich.

2. Diese Forderung wird ausdrücklich unterstützt. Die Raumordnung als planerisches Instrument, das der kommunalen Planungsebene vorgelagert ist, sollte in ihren konzeptuellen gemeindeübergreifenden Qualitäten gestärkt werden, ebenso auch die kooperative Abstimmung mit den benachbarten Landkreisen und Städten. Allerdings reicht die Raumordnung allein nicht aus, weil sie lediglich einen relativ allgemeinen Rahmen vorgibt. Insofern sind die kommunalen Planungsebenen miteinzubeziehen. In Bezug auf den ländlichen Raum sollten dorftypische Wiesen, Weiden, Gärten (auch hinterliegende!) und wertvolle Grünverbünde explizit von der Innenentwicklung ausgenommen werden, weil sonst die Identität und Charakteristik der Dörfer zugunsten austauschbarer Einheitsarchitektur verloren geht. Auch zum vorsorgenden Klimaschutz und zur Gesunderhaltung der Bevölkerung ist eine ausreichende Durchgrünung von Ortschaften zwingend erforderlich.

3. Die Forderung, ganzheitliche Quartierskonzepte zu fördern, entspricht den Leitzielen unseres Berufsverbandes und wird daher ausdrücklich begrüßt. Im Grunde sollte dies eine Grundvoraussetzung auf der Ebene der gesamten Gemeinde und von Quartieren sein, um überhaupt neue Baugebiete (Wohnen, Arbeiten) entwickeln zu dürfen.

4. Die Einführung eines kommunalen Entsiegelungskatasters erscheint aus unserer Sicht sehr aufwändig, könnte aber zu einer besseren Identifizierung entsprechender Flächen führen. Hierfür ist jedoch eine entsprechende personelle Ausstattung in den Kommunen erforderlich. Im Planungsprozess sollte ohne Verzögerung auf das Kataster zurückgegriffen werden können, ansonsten besteht die Gefahr, dass lediglich eine weitere Anforderung auf dem Papier abgearbeitet werden muss, ohne weiteren Effekt.

5. Innerhalb des Umweltberichtes, der im Rahmen der Bauleitplanung zu erstellen ist, kann die Flächenentsiegelung bereits positiv in die Bilanzierung eingestellt werden, ebenso innerhalb von Grünordnungsplänen, die unabhängig von der Bauleitplanung aufgestellt werden. Entsprechende Bilanzierungsmethoden sind vorhanden und werden angewendet. Allerdings wird die Möglichkeit der Flächenentsiegelung erfahrungsgemäß selten in Anspruch genommen, auch weil ein Zugriff auf diese Flächen nicht gegeben ist. Insofern wird es begrüßt, hierfür den Anreiz durch stärkere Gewichtung in der Bilanzierung zu erhöhen.

6. Einen Altlasten-Sanierungs-Pool mit Kompensationsleistungen zu kombinieren, wird kritisch eingestuft, weil die Belastung durch Altlasten eine deutlich andere negative Qualität (mit den damit erforderlichen Entsorgungsmaßnahmen) haben kann als ein einfacher Rückbau. Mit einer Kompensation für das Schutzgut Boden und Fläche sollte auch weiterhin vorrangig eine eingriffsnahe Verbesserung des örtlichen Naturhaushaltes verbunden sein. Eine Altlastensanierung sollte aus anderen Töpfen finanziert werden.

7. Die Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen (KEAN) leistet einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz, die oben angesprochenen Aufgaben sind jedoch durch Bodenordnung und die Anwendung der Instrumente der Gesetzgebung (BauGB und BNatSchG) um- und durchzusetzen. Hier handelt es sich um unterschiedliche Tätigkeitsfelder. Wirkungsvoller wäre die Unterstützung der Kommunen durch qualifizierte Planer*innen und Jurist*innen, um die Rahmenbedingungen zu klären, wie eine Umsetzbarkeit letztlich erreicht werden kann.

8. Dieser Punkt wird durch die SRL mit Nachdruck abgelehnt und es wird davor gewarnt, mit derart vereinfachenden Ansätzen den komplexen städtebaulichen Anforderungen begegnen zu wollen. Städtebauliche Belange, wie der Wert eines geschlossenen Stadt- oder Dorfbildes, werden durch den Vorschlag nicht nur ausgeklammert, sondern ihre Relevanz wird im Grundsatz negiert. Eine generelle Befreiung von der Anforderung des Einfügens wird nicht zu städtebaulich vertretbaren Verdichtungen führen, sie wird nicht zu einer verbesserten Nachverdichtung in bestehenden Siedlungsgebieten beitragen. Sie wird eher das Einfallstor für Investoren sein, die i.d.R. nur an einer profitorientierten Lösung interessiert sind. Es ist zu befürchten, dass über Jahrhunderte gewachsene Stadt- und Dorfstrukturen innerhalb weniger Jahre überformt werden, und damit identitätsbildende städtebauliche Kulturgüter verloren gehen. Dies widerspricht den langjährigen Bemühungen der Stadt- und Dorfentwicklungsprogramme, die mit hohen Förderbeträgen vom Land und der EU unterstützt worden sind. Selbst unter Anwendung des Einfügegebots konnten Fehlentwicklungen nicht ausgeschlossen werden. Deshalb ist zurzeit zu beobachten, dass Kommunen zunehmend örtliche Bauvorschriften zur Gestaltung für den Innenbereich aufstellen. Dennoch stellt das Einfügegebot ein wirkungsvolles Mittel zur Steuerung städtebaulicher Entwicklungen dar, auf das, auch nicht ausnahmsweise, verzichtet werden kann. Darüber hinaus sind die daraus resultierenden Maßgaben allgemein genug, dass auch mit einfachen, aber angemessenen Gestaltungsmitteln ein kostengünstiger Wohnungsbau betrieben werden kann. Letztlich ist die „Eigenart der (näheren) Umgebung" ein zentraler Begriff des Bauplanungsrechts. Wird seine Bedeutung gemindert, wird auch die Durchsetzung verschiedener Regelungen aus dem BauGB, der BauNVO und der NBauO wesentlich erschwert. Damit wäre das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erreicht.    

9. Der Vorschlag wird aus Sicht der SRL strikt abgelehnt, da damit das Instrument der Bauleitplanung für eine geordnete städtebauliche Entwicklung entkräftet wird. Die Bevölkerung wird an der Mitgestaltung ihrer Umwelt ausgeschlossen. Der politischen Entscheidungsebene wird die Möglichkeit genommen, die Auffassungen ihrer Bürger*innen vor Ort zu erfahren. Damit würde ein wichtiges Element der Abwägung entzogen und ein Einstieg in die Aufhebung des Instrumentes der Bauleitplanung gegeben. Die Partikularinteressen einzelner Privater würden in unzulässiger Weise den öffentlichen Belangen vorgezogen. Dies widerspricht dem Grundsatz des BauGB, demzufolge private und öffentliche Belange gegen- und untereinander abzuwägen sind. Auch hier wird versucht, vereinfachend auf komplexe städtebauliche Anforderungen zu reagieren. Es wird außer Acht gelassen, dass innerhalb der Bauleitplanung ein bündelnder und konzentrierender Planungsprozess erfolgt. Schließlich dient das Verfahren der Bauleitplanung dem Interesse der Gesamtgesellschaft, städtebauliche Aufgabenstellungen vorsorgend zu lösen und mögliche Konflikte im Vorhinein zu schlichten, die z.B. soziale, gestalterische, naturschutz- und immissionsschutzrechtliche Belange sowie Grundvoraussetzungen der Erschließung betreffen, für die im Übrigen eine Benehmensherstellung nicht ausreichen wird. In der Konsequenz müssten die Kommunen sich sonst mit zahllosen Einzelfällen befassen, für die die gleichen Problemstellungen zu lösen wären. Dieser Vorschlag erscheint realitätsfern und im Grundsatz - durch Streichung der Beteiligungsprozesse - undemokratisch. Dass die Verfahren der Bauleitplanung lange dauern können, liegt weniger an den Verfahren selbst, sondern daran, wie diese umgesetzt werden.

Im Gegenzug wird vorgeschlagen, die Kommunen durch Landeszuweisungen oder Förderprogramme finanziell so auszustatten, dass sich auch kleinere Kommunen die Durchführung eines Bauleitplanverfahrens leisten können, ohne auf eine Kostenübernahmevereinbarung mit einem interessierten Bauträger angewiesen zu sein.

Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass ein wesentlicher Schlüssel zur Umsetzung der angestrebten Ziele ist, dass überhaupt eine Verfügbarkeit der Brachen und Immobilien hergestellt werden kann. Hierfür wäre eine Erleichterung von bodenordnenden Maßnahmen und ihrer Durchsetzbarkeit erforderlich, so dass die Kommunen in die Lage versetzt werden - abseits ausschließlich profitorientierter partikularer Vermarktungsinteressen - eine gemeinwohlorientierte Wohnbauentwicklung aktiv betreiben zu können.

Insofern wird der Leitgedanke, der dem vorliegenden Antrag zu Grunde liegt, mit Nachdruck unterstützt.

Es wird angeregt, ein differenziertes Maßnahmenprogramm zu entwickeln, an deren inhaltlicher Ausarbeitung sich die SRL e.V. als Berufsverband aller in der räumlichen Planung Tätigen gerne einbringt.

Stellungnahme

Dipl.-Ing. Lena Weber-Hupp als Sprecherin für die SRL-Regionalgruppe Bremen / Niedersachsen; Dr.-Ing. Johann Hartl, Vorsitzender des SRL-Ausschuss Planungsrecht, 26.04.2022